Anerkennung verschiedener islamischer Religionsgemeinschaften

In der Schweiz leben rund 400‘000 Muslim/innen (5% der Bevölkerung), etwa ein Drittel besitzt den Schweizer Pass; sie und der Islam gehören deshalb zweifellos zur Schweiz. Dabei sind sie keineswegs eine einheitliche Gruppe, vielmehr besteht unter ihnen eine geographische, kulturelle und religiöse Vielfalt (3/4 von ihnen stammen ursprünglich aus dem Balkan oder der Türkei).

Edibe Gölgeli

Edibe Gölgeli

Gemäss Eigenwahrnehmung sind sie nur leicht religiöser als die Gesamtbevölkerung (87% bzw. 81%). Die islamophobe Angstkampagne der politischen Rechten reiht sich ein in ihren üblichen Kampf gegen gesellschaftlich und sozial Benachteiligte. Sie greift die Grundsätze einer offenen und freien Gesellschaft an. Auch hat die Debatte über eine christliche Leitkultur in einem pluralistischen, diskriminierungsfreien Rechtsstaat nichts zu suchen. Mit der Anerkennung weiterer Glaubensgemeinschaften werden gleiche Rechte für Alle gefordert.

Als Schweiz sollten wir wissen, wie mit Minderheiten zusammenleben. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung ist zudem ein Instrument, das sich in der Vergangenheit bewährt hat, so wurde im Zuge des Sonderbundkriegs das friedliche Zusammenleben zwischen Katholiken und Protestanten gesichert, später in einigen Kantonen der jüdischen Gemeinschaft ein Platz in der Gesellschaft zugestanden. Ich sehe keinen Grund, das Modell der Kooperation zwischen Staat und Religion nicht auf weitere religiöse Traditionen auszudehnen.

Religion und Glaube ist immer Ideologie gefährdet; ich unterscheide für mich zwischen Ideologie und Weltanschauung. Als Weltanschauung bezeichne ich meine Sicht auf die Welt – als Ideologie, wenn auf Grund religiöser, politischer oder wirtschaftlicher Ideen andere ausgegrenzt werden. Es war deshalb wichtig, mit der Anerkennung der Landeskirchen die Bedingung zu verbinden, dass Pfarrer/innen Theologie studieren mussten. Die Auseinandersetzung mit Religionen und ihren Auswirkungen relativiert manches und führt zu mehr Vorsicht und Rücksicht auf andersdenkende Menschen. Die Prüfungskommission und die Professor/innen an den theologischen Fakultäten stehen unter staatlicher Aufsicht – und das ist gut so. Schnell kann festgestellt werden, wenn jemand kommt und Religion fanatisch und somit immer auch menschenverachtend betreibt.

Das amerikanische System, in dem Kirche und Staat völlig getrennt sind, mag auf dem Papier liberal sein, die Gesellschaft ist es vielerorts weniger. Kein/e Präsident/in kann ohne die Stimmen der fundamentalistischen Christen gewählt werden. Gerade weil sich der Staat raushält, ist das System beliebt bei konservativen Katholiken und evangelischen Freikirchen – sie stehen nicht so unter Beobachtung – und haben Fanatiker Einfluss. Unkontrollierte Religion kann gefährlich werden. Darum bin ich auch davon überzeugt, dass Imame an unseren Universitäten ausgebildet werden sollten und ein hiesiger Abschluss Bedingung für die Anerkennung sein müsste, wie bei den Landeskirchen. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung liegt in unserem Interesse, mit ihr hat die Schweiz Kontrollmechanismen in der Hand, wie Übersicht über Finanzierung und Mitgliederstrukturen.

Im Kanton Basel-Stadt erhielten die Aleviten 2012 eine sogenannte kleine Anerkennung; mit dieser können keine Steuern erhoben werden, aber man hat Zugang zur Seelsorge in Spitälern, Gefängnissen, an Grabstätten usw. – man gehört dazu! Was ist der Unterschied zwischen grosser und kleiner Anerkennung? Die rechtliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften erfolgt auf kantonaler Ebene. Die Vorschriften dazu unterscheiden sich. Gemeinschaften mit grosser, öffentlich-rechtlicher Anerkennung werden meist in der Verfassung aufgeführt. Eine Aufnahme bedingt eine Änderung der Verfassung (Volksabstimmung), sie räumt der Religionsgemeinschaft dafür weitgehende Rechte ein wie das Erheben von Steuern. Die kleine Anerkennung wird unterschiedlich geregelt. Für beide Anerkennungen müssen Auflagen wie Transparenz der Finanzen erfüllt werden.

Häufig werde ich damit konfrontiert, dass es falsch sei, dass sich die SP mit dem Thema Islam beschäftige, Religion und Staat/Politik gehören getrennt. Es stimmt: Religion ist Privatsache. Woran der einzelne glaubt oder nicht, hat den Staat nicht zu interessieren. Religiöse Gemeinschaften sind aber keine Privatclubs, die hinter verschlossenen Türen tun und lassen können, was sie wollen. Sie wirken in die Öffentlichkeit und werden automatisch zu einem öffentlichen Interesse. Nehmen wir als Beispiel die 400‘000 Muslim/Innen in der Schweiz: es ist doch sinnvoller, einen staatlichen Rahmen vorzugeben, als sie nur sich selbst (oder in diesem Fall dubiosen Geld- und Ideologiegebern im Ausland) zu überlassen. Anders formuliert: Es gibt ein öffentliches Interesse, die 400‘000 Muslim/Innen in der Schweiz einzubinden und ihnen eine vernünftige Stimme zu geben. Darum ist es richtig, dass sich die Politik dafür engagiert und sich für die Demokratisierung einsetzt.

Der Islam ist heute schon Teil der Schweiz. 400‘000 Menschen bekennen sich dazu, ein Drittel mit Schweizer Pass. Wir haben zwei Optionen: Grenzen wir sie aus, stigmatisieren wir sie und lassen so zu, dass viele Menschen aus Frust in die Arme von radikalen Scharfmachern getrieben werden? So würde der Islam tatsächlich zu einer Gefahr. Oder binden wir sie ein, geben ihnen eine Perspektive und fördern so, dass die vernünftigen Stimmen gehört werden? Also etwas, was die Schweiz im 19. Jahrhundert nach dem Sonderbundskrieg gemacht hat, um die Katholiken einzubinden. Heute würde niemand mehr behaupten, die Katholiken wären eine Gefahr für die Schweiz.

Im August 2018, Edibe Gölgeli

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