Am Abend desselben Tages versammelten sich etwa dreihundert Personen zu einer spontanen Protestkundgebung. Dabei kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei, bei der mit Gummischrot gegen die Demonstrierenden vorgegangen wurde. Einige Personen seien auch im Gesicht getroffen worden.
Bei der Ombudsstelle Basel-Stadt und beim Justiz- und Sicherheitsdepartement gingen daraufhin mehrere Anzeigen ein, die die Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes in Frage stellten. Die Basler Staatsanwaltschaft lud im Winter 2016 «Auskunftspersonen» im Verfahren gegen die Polizei vor. Die Antragsteller machten daraufhin Aussagen über den Verlauf der Demonstration und das Verhalten der Polizei. Folge davon: Aus Auskunftspersonen werden Angeklagte!
Während das Verfahren gegen die Polizei eingestellt wurde, benutzte die Staatsanwaltschaft die Aussagen der Antragssteller, um gegen sie Strafbefehle wegen Landfriedensbruch zu erlassen. Grund dafür sei die Teilnahme an der unbewilligten Protestkundgebung gewesen. Die Betroffenen legten gegen die Strafbefehle Einsprache ein. Das ist ein Beispiel von weiteren solchen Fällen.
Die aktuelle Debatte über Rassismus, Racial Profiling und Polizeigewalt im Zusammenhang mit der Tötung von George Floyd zeigt deutlich auf, dass diese Probleme auch in der Schweiz und in Basel existieren. Das Beratungsnetz für Rassismusopfer verzeichnete im vergangenen Jahr schweizweit 23 Fälle von Racial Profiling. Von Racial Profiling betroffen sind jedoch viele mehr, wie auch eine wissenschaftliche Studie von 2019 zeigt. Die Dunkelziffer ist hoch, Zahlen über das tatsächliche Ausmass gibt es deshalb keine. Eine Schlussfolgerung lautet: Polizei und Ermittlungsbehörden müssen in Fällen rassistischer Gewalt und Diskriminierung, Vertuschung und Verleugnung zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür muss es aber zunächst eine wirklich unabhängige Beschwerde- und Untersuchungsstelle geben, gut ausgestattet, mit weitreichenden Befugnissen.
Auch der Regierungsrat anerkennt in der Beantwortung des Anzug Tanja Soland und Konsorten betreffend Racial/Ethnic Profiling bei Polizeikontrollen (17.5141.02), dass nicht alle Personen, die sich durch eine Personenkontrolle diskriminiert fühlen, dies den Behörden melden oder gar eine Anzeige einreichen. Grund dafür sei, neben allenfalls fehlendem Wissen über Anlaufstellen, die finanzielle, zeitliche und emotionale Belastung durch das Verfahren. Was der Regierungsrat nicht schreibt ist, dass zudem das Risiko besteht, dass bei einer Strafanzeige gegen Polizist*innen mit einer Gegenanzeige reagiert wird.
Die Schweiz sieht sich seit 2002 von diversen internationalen Gremien regelmässig mit der Forderung konfrontiert, Massnahmen einzuführen, welche die unabhängige Untersuchung von polizeilichem Fehlverhalten sicherstellen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
So geschehen 2017 im Rahmen der allgemeinen periodischen Überprüfung der Schweiz vor dem UNO-Menschenrechtsrat1. Die Schweiz habe es trotz anhaltender Kritik verpasst, unabhängige Untersuchungs- und Strafverfolgungsinstanzen bei polizeilichen Angelegenheiten zu schaffen, an die sich alle Bürger wenden können ohne Repressalien zu befürchten – auch Polizisten, die Fehlverhalten ihrer Kollegen zur Anzeige bringen wollen. Basel kann es vormachen.
Das Fehlen einer unabhängigen Beschwerdestelle kann auch der Glaubwürdigkeit der Kantonspolizei und des Regierungsrats in diesem Sinne schaden, vor allem wen sie sich dazu bekannt haben, gegen diskriminierendes Polizeiverhalten vorzugehen.
Wir sind klar der Meinung, dass es nebst den unbestrittenen Präventions- und Sensibilisierungsmassnahmen auch eine unabhängige Beschwerdestelle mit den notwendigen Kompetenzen braucht.