Um diese Defizite aufzufangen und abzufedern, müssen jetzt entsprechende Ressourcen eingesetzt werden. Je länger die Schulen geschlossen bleiben, desto grösser wird die Kluft zwischen den Kindern aus unterstützenden Familien einerseits und den Kindern aus belasteten Familien andererseits. Der Präsident von Kibesuisse (Verband für Kinderbetreuung) erinnert daran, dass für mehr als 140`000 Kinder in der Schweiz ein warmes Mittagessen schon unter normalen Umständen nicht selbstverständlich ist. Die kostengünstigen Mahlzeiten in Tageschulen, Tagesstrukturen und Kinderkrippen sorgten vor der Krise für viele Familien für Entlastung. Durch die Schliessung der Schulen fiel auch diese weg.
Sodann zeigt sich in der jetzigen Situation, dass Fernunterricht der Kinder und Homeoffice der Eltern nicht so leicht mit einander zu vereinbaren sind. Wer Kinder im schulpflichtigen Alter hat, muss diese – bis auf Ausnahmefälle – zuhause betreuen und schulisch unterstützen. Dieser plötzliche Wechsel auf digitale Mittel stellt einen massiven Mehraufwand für die Lehrer*innen dar – aber auch für die Eltern, denn sie müssen die Tagesstruktur und ihre eigenen Verpflichtungen aufrechterhalten und zusätzlich die Kinder bei der Bewältigung des Schulstoffs begleiten. Auch die Situation von Lehrer*innen, die selber Kinder haben (welche nun ebenfalls zuhause sind), wurde bisher kaum als Diskussion ausgegriffen. Gerade im Bereich der Primarschule stossen Lehrpersonen zurzeit aber an ihre Grenzen, da es in der Schweiz noch keine E-Learning-Lösung gibt, auf die einfach zurückgegriffen werden kann. Im Fernunterricht stellt sich auch noch die Frage nach der technischen Ausstattung des Haushalts. Die wenigsten Kinder im Alter zwischen 6 und 11 Jahren verfügen bereits über einen eigenen Computer, oft muss sich die ganze Familie ein oder zwei Geräte teilen, was gerade bei mehreren Kindern und der Kombination mit Home-Office sehr schwierig ist.
Vor diesem Hintergrund bitte ich die Regierung um die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Welche Massnahmen zur Unterstützung können in Bezug auf vulnerablen Familien während der Corona-Krise ergriffen werden, um die Vereinbarkeit von Fernunterricht und Home-Office bzw. generell Arbeit und Haushalt zu verbessern?
- Es besteht die Gefahr, dass Familien mit kleinen Kindern auf Grund von Corona in viel zu engem Raum und ohne Kontakte bleiben. Kann der Regierungsrat Empfehlungen aussprechen für einen Austausch im engen Kreis (beispielsweise mit einer anderen, gleichbleibenden Familie) und für einen täglichen Aufenthalt draussen?
- Besteht die Möglichkeit einer reduzierten Form von Tagesstruktur für belastete Familien auch während der Corona-Krise? Z.B. in kleineren Gruppen im Rahmen von Mittagstischen oder Spiele-Nachmittage (evtl. im Freien, um das Ansteckungsrisiko etwas zu mindern), sodass diejenigen Kinder, die besonders unter dem Wegfall von Strukturen leiden, nicht vollends sich selbst überlassen werden.
- An was für Stellen können sich überlastete Eltern wenden, wenn Sie notfallmässig Unterstützung brauchen bei der Begleitung der Kinder oder beim Fernunterricht?
- Was für Anstrengungen unternehmen Behörden und Beratungsstellen wie die Elternberatung oder Fabe um mit vulnerablen Familien im Kontakt zu bleiben und diese in dieser besonderen Situation zu unterstützen?
- Welche Mittel (pädagogische, materielle) staatlicher oder privater Institutionen mit sozialpädagogischer und transkultureller Ausrichtung können zur Unterstützung belasteter Familien eingesetzt werden?
- Wie werden Eltern über diese Unterstützungsangebote informiert?
- Wie werden Schulleitungen und Lehrpersonen über die diversen Unterstützungsangeboten informiert?
- Gibt es ein Konzept, wie mit den betroffenen Kindern der durch die Corona-Krise entstandene Rückstand wieder wettgemacht werden kann?
April 2020,
Edibe Gölgeli (69)